„Handeln statt Herumstochern“ – Renate Künast fordert Paradigmenwechsel in Agrar- und Entwicklungspolitik

Zur laufenden Debatte über Biosprit (E 10) und Welternährung erklärt die Fraktionsvorsitzende Renate Künast:  „Auch wenn viele US-Medien das Thema Klimawandel weiterhin ignorieren – nach diesem Sommer und der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren ist klar: die Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung mit ausbleibenden Regenfällen und extremer Hitze haben das Zentrum der USA erreicht. Eine Anbaufläche von der Größe Luxemburgs und Belgiens wurde dort komplett vernichtet. Das US-Landwirtschaftsministerium musste die Prognosen für die diesjährige Mais- und Sojaernte drastisch nach unten korrigieren. Wetterextreme wie dieses werden weltweit immer öfter zum Normalfall. Es ist Zeit, dass sich Weltgemeinschaft und führende Nationen dieser neuen Realität und ihrer Verantwortung stellen. Die Dürre in den USA hat handfeste und gravierende Auswirkungen auf den Rest der Welt, insbesondere auf die Armen. Die USA sind der größte Exporteur von Weizen, Mais und Soja. Substantielle Ernteausfälle schlagen umgehend auf die Preise der internationalen Warenterminmärkte durch. Die Futures-Preise haben die Spitzen von 2008 und 2011 bereits teilweise überschritten. Die Verteuerung von Agrarprodukten facht die weltweite Konkurrenz um fruchtbare Böden weiter an. Das Recht auf Ernährung, das allen Menschen zusteht, wird damit systematisch gefährdet.

Niebel handelt zynisch

Hunger ist ein ernsthaftes Problem, das mit aller Entschlossenheit bekämpft werden muss. Zynisch handelt, wer wie Bundesentwicklungsminister Niebel mit seinem Vorstoß gegen E10 aus dem Hungerproblem politisches Kapital schlagen will. Ansonsten hat Herr Niebel zu Hunger und Armut nichts zu sagen. Fakt ist: Den Einsatz von Biokraftstoffen haben verschiedene Bundesregierungen unterstützt. E10 wurde 2011 von der schwarz-gelben Bundesregierung schlecht vorbereitet in den Markt eingeführt und ist fester Bestandteil ihrer energiepolitischen Strategie. Schwarz-Gelb will den Einsatz von Biokomponenten in Kraftstoffen künftig weiter steigern. Die Beimischung war allerdings nur ein Weg, die EU-Biokraftstoffquote zu erfüllen. Ihn hat die große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel festgelegt. Wir Grünen haben E10 immer kritisch gesehen. Statt mit dem Beimischungszwang die Agrokraftstoffproduktion den großen internationalen Mineralölkonzernen auszuliefern, haben wir immer regionale Kreisläufe und reine Biokraftstoffe befürwortet. Dort können Agrokraftstoffe in Form von in Deutschland nachhaltig angebauten Feldfrüchten sinnvoll sein.

Nur Handeln bekämpft Hunger

Es ist falsch, Bioenergien zum populären Sündenbock für ein komplexes Problem zu machen. Wer den Hunger in der Welt bekämpfen und die fatale Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten in Entwicklungsländern stoppen will, muss konkret handeln. Wir sehen die Bundeskanzlerin und mit ihr die gesamte Bundesregierung in der Pflicht, folgende Punkte umzusetzen:

1.       EU-Klimaziele auf 30% erhöhen und nationales Klimaschutzgesetz: Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für die Welternährung. Dürren und Überschwemmungen führen zu Bodenerosion und zerstören weltweit wertvolles Ackerland. Die Bundesregierung muss ihre Klimaschutzpolitik intensivieren und sich dafür einsetzen, das Klimaziel der EU für 2020 auf minus 30% anzuheben. Wir brauchen ein nationales Klimagesetz, das feste Reduktionsziele für die Bereiche Verkehr, Wohnen und Landwirtschaft  festlegt.

2.       Landgrabbing unterbinden und Prinzip „food first“: Wir fordern die Bundesregierung auf festzulegen, welche Rolle heimische Biomasse und der Import von Bioenergien künftig in ihrer energiepolitischen Strategie spielen soll. Dabei muss das Prinzip gelten: Nahrungsmittelanbau hat Vorrang („food first“). Die Bundesregierung muss sich für einen Stopp des so genannten „land grabbing“ einsetzen, bei dem reiche Staaten und internationale Konzerne sich insbesondere in politisch und wirtschaftlich schwachen Regionen Ackerflächen aneignen, um ihren Bedarf zur industriellen Futter- und Nahrungsmittelproduktion zu sichern.

3.       Agrarpolitisches Leitbild in Entwicklungszusammenarbeit erneuern: Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft tragen ebenso wenig zur Ernährungssicherung bei wie die von der Bundesregierung geförderte Agro-Gentechnik und der Export subventionierter Agrar­produkte. Die Ernährung von bald 9 Milliarden Menschen braucht neue Ansätze und Förder­strategien. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr agrarpolitisches Leitbild ganz auf eine umweltgerechte, dezentrale, moderne bäuerliche Landwirtschaft auszurichten. Sie allein ist in der Lage, die notwendige Selbstversorgung durch lokale Märkte sicherzustellen. Die Entwick­lungspolitik der Bundesregierung muss hier einen neuen Schwerpunkt setzen.

4.       Fleischkonsum und Futtermittelimporte: Die Ausrichtung der Agrarindustrie auf Massentierhaltung und billiges Fleisch ist der zentrale Treiber der Getreidepreise und den weltweiten Run auf Ackerflächen. Für den Anbau von zumeist gentechnisch veränderten Futtermitteln für die Fleischproduktion werden lokalen Märkten Ackerböden entzogen. 30 Prozent der Weltgetreideernte landet heute nicht auf dem Teller, sondern im Trog. Die Massentierhaltung ist damit längst zum Lebensmittelkonkurrenten des Menschen geworden. Deutschland produziert Fleisch weit über den eigenen Bedarf, um wachsende Absatzmärkte in den Schwellenländern zu erobern. Seit 2005 ist die Ausfuhr von Fleisch und Wurst um nicht weniger als 60 Prozent gestiegen. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Bau von Tierfabriken einzuschränken und die Größe der Tierbestände an den Umfang der möglichen heimischen Futtermittelerzeugung anzupassen.

EU- Agrarreform unterstützen und EEG novellieren : Im Rahmen der anstehenden Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) muss die Bundes­regierung ihren Widerstand gegen die Vorschläge der EU-Kommission aufgeben und stattdessen eine wirksame Ökologisierung“ (Greening) der GAP unterstützen. Um die Ausweitung des Maisanbaus einzuschränken, müssen beispielsweise landwirtschaftliche Subventionen an die Einhaltung einer dreigliedrigen Fruchtfolge gebunden werden. Auch die Auswirkungen der GAP auf die Entwicklungsländer muss stärker beachtet werden. Ferner muss die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsverordnung von 2010 ausschließen, dass für den Anbau von Energieplanzen der Anbau von Getreide und Gemüse verdrängt wird. Statt weiter eine Vermaisung zu fördern, muss das EEG die Verwendung von Rest- und Abfallstoffen für die Herstellung von Biogas besserstellen.“

Artikel kommentieren

Kommentar verfassen