„Verteidigen und entwickeln wir unsere demokratische Erinnerungskultur“ – Niederhagen-Gedenkrede von Sigrid Beer 4. April 2017 Zum 72. Befreiungstag des KZ Niederhagen / Wewelsburg hielt Sigrid Beer die Rede zum Gedenken an die Opfer. An Angehörigen und Anwesenden gewendet erklärte sie: „Ich danke Ihnen allen, dass sie heute hierhin gekommen sind, um das Gedenken an die Opfer des KZ Niederhagen lebendig zu erhalten. Ich danke Volker Kohlschmidt, Herrn Landrat Müller und Bürgermeister Schwuchow und vor allem auch den Kollegiaten und Kollegiatinnen des Oberstufenkollegs Bielefeld für Ihre Statements und Impulse, die ich im Weiteren versuchen will zusammenzuführen. Mit Erschütterung und großer Empörung hat die Öffentlichkeit nicht nur auf die Provokationen des rechtsextremen AfD Mannes Höcke zum „Mahnmal der Schande“ reagiert, sondern auch auf die Forderung des Demokratieverächters, es brauche eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, weil „die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht“ werde. Aber auch jenseits dieses bewussten Tabubrechers, gibt es genug, die davon reden, dass es jetzt reicht mit dem Gedenken nach mehr als zwei Generationen. Man kann den Apologeten des „Schlussstrichs“ nur immer wieder dasselbe entgegnen: Wer seine Geschichte nicht kennt, weiß nicht, wer er ist, und hat also auch keine Zukunft. Deshalb erzählen wir, was geschehen ist. Wir hören nicht auf damit. Wir wollen unseren Beitrag leisten wider das Vergessen. Heute vor 72 Jahren, am 2. April 1945, haben Einheiten der US-Armee die Gefangenen des sogenannten „Restkommandos“ in Wewelsburg befreit – knapp 50 Häftlinge, die nach der Schließung des KZ Niederhagen im Mai 1943 hier verblieben waren. Nach der Befreiung führten die Häftlinge die US-Soldaten auf die Spur des KZ Niederhagen, auf dessen Appellplatz wir stehen. Niederhagen bestand zwischen 1941 und 1943 als das kleinste eigenständige KZ der NS-Regimes. Es hat eine besondere Geschichte, die wir uns erschließen müssen. Das sind wir allen Menschen schuldig, die an dieser Stelle gequält wurden und zu Tode kamen. Das sind wir auch uns selbst schuldig – und unseren Kindern und Enkeln, denen, die nach uns kommen. Menschen sind in der Lage, anderen Menschen unvorstellbare Grausamkeiten anzutun. Im KZ Niederhagen waren durchschnittlich 500 Menschen inhaftiert. Insgesamt haben 3900 Häftlinge das Lager durchlitten. Mindestens 1285 kamen dabei ums Leben, das ist fast ein Drittel aller Gefangenen, rund zweieinhalb Mal so viel wie die durchschnittliche Lagerbelegschaft. Diese Zahlen lassen die Grausamkeit erahnen, die hier herrschte. Wir denken an die Menschen, die Opfer wurden. Wir denken an die Menschen, die hier als „Bibelforscher“ inhaftiert waren, also als Zeugen Jehovas, wir denken an die politischen Häftlinge in Niederhagen, wir denken an die Roma und Juden, an homosexuelle Menschen, die hier in Haft waren. Und wir denken an die zahlreichen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter aus vielen Ländern Europas – aus Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Frankreich, aus den Niederlanden und Belgien. Wir denken an die Menschen, die hier hingerichtet wurden. Denn das KZ war auch eine Exekutionsstätte. Wir denken an die Frauen, Männer und Kinder, die auf Befehl Himmlers hier hingerichtet wurden, darunter auch Frauen und Kinder aus Westfalen-Lippe. Wir werden auch ihr Leid nicht vergessen! Die SS wollte die Spuren der Gewalt verwischen. Als 1942 die Zahl der Toten hier im Lager immer mehr anstieg, wurde ein eigenes Krematorium errichtet. Einen Friedhof gab es allerdings nicht. Die Asche der Toten wurde wahrscheinlich einfach verstreut. Den Häftlingen wurde ein individuelles Grab, ein Ort des Gedenkens verweigert. Auch das war ein Teil des Versuchs, alle Erinnerung an die Opfer auszulöschen – eine letzte Demütigung durch die selbst ernannten „Herrenmenschen“. Und auch weil das ein Teil des Planes der Machthaber war, darum haben wir eine ganz besondere Verantwortung und menschliche Pflicht. Wir können keines der begangenen Verbrechen rückgängig machen. Aber wir können zumindest diesen unmenschlichen Plan der NS-Schergen durchkreuzen, nämlich den Versuch, auch die Erinnerung an die Opfer auszulöschen! Das lassen wir nicht zu! Und auch deswegen sind wir hier! Die Einrichtung von Niederhagen im September 1941 als eigenständiges KZ fällt in eine Zeit, in der die NS-Machthaber einen großen Teil Europas in ihrer Gewalt hatten. Es war eine Zeit des ungebremsten Größenwahns. Und auch Himmler hatte große Pläne mit der Wewelsburg. Kurz vor dem Angriff der Nazitruppen auf die Sowjetunion im Juni 1941 hatte er hier seine obersten SS-Führer versammelt, um sie auf den Russlandfeldzug vorzubereiten – in dem eben diese SS dann grausamste Verbrechen und Massenhinrichtungen verüben sollte! Nach einem gewonnenen Krieg sollte die Wewelsburg so etwas wie der esoterische „Mittelpunkt der Welt“ werden. Der heilige Ort eines pseudoreligiösen Ersatzkultes, in dem die SS sich als „Gemeinschaft der Übermenschen“ feiern wollte, als NS-Aristokratie und faschistischer Eliteorden. Und die Häftlinge von Niederhagen sollten diesen Ort schaffen. Das war der Hauptzweck des KZs. Der Name „Niederhagen“, eine alte, wenig bekannte Flurbezeichnung, wurde gewählt, damit das KZ nicht mit der Kultstätte Wewelsburg in Zusammenhang gebracht wurde. Das Leid der Opfer sollte keinen Schatten auf die rassische und völkische „Reinheit“ werfen, die die SS an diesem Ort beschwören wollte! Im Mai 1943, kurz nach der Stalingradniederlage wurde Niederhagen als eigenständiges KZ geschlossen. Die Niederlage im Osten hat nicht nur die Größenphantasien der NS-Machthaber wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Sie hat auch die materiellen Mittel für den Ausbau ihrer Herrschaftsarchitekturen beschnitten. Die Tarnung des KZ Niederhagen hat lange funktioniert. Auch nach dem Ende der NS-Herrschaft konnte das Lager in den Standortkarten der KZs oft nicht richtig lokalisiert werden. Am Beispiel der Nachkriegsgeschichte von Niederhagen lässt sich auch die Geschichte der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik illustrieren: Schon in der Zeit der US-Besatzung gab es Widerstände dagegen, sich in der Gemeinde mit den Morden der SS auseinander zu setzen. Ein Gedenkstein, der an die noch aufgefundenen Toten erinnerte, wurde 1961, nach deren Umbettung, entfernt. Ein großes Holzkreuz vor dem früheren KZ-Torgebäude, das von ehemaligen Häftlingen erbaut worden war, brach zusammen. Eine 1965 angebrachte Mahntafel im Innenhof der Wewelsburg wurde 1973 entfernt, ohne dass jemand protestierte. Erst ab Mitte der 70er Jahre nahm sich die Forschung des Themas nachhaltiger an. Auf der Wewelsburg wurde mit musealen und museumspädagogischen Mitteln an die NS-Zeit und Niederhagen gedacht. Hier leisten die Museumsleiterin Frau John-Stucke und ihr Team wirklich Vorbildliches. Mit Dauer- und Sonderausstellungen, die einen Gesamtüberblick geben und Einzelaspekte vertiefen. Mit Fachbüchern, etwa zum „Mythos Wewelsburg“, die helfen, die Mythen um die „SS-Gralsburg“ zu entzaubern. Und ganz besonders mit einer dialogischen Bildungsarbeit, die den Teilnehmenden ein hohes Maß an eigenständiger Arbeit ermöglicht und eigene Fragen und Zugänge zu diesem geschichtlichen Ort unterstützt. Zum Beispiel mit einem Workcamp für Jugendgruppen, das den Schießplatz freilegt, den Häftlinge 1941 für die SS anlegen mussten und auf dem auch Erschießungen stattfanden. Jugendliche helfen dabei, diesen Ort des Terrors wieder sichtbar zu machen, an dem konkret nachvollziehbar wird, welche Verbrechen verübt wurden. Die Bedeutung solcher Aktivitäten für die Geschichts- und Demokratiebildung kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Ich danke Ihnen sehr für diese engagierte, unersetzliche Arbeit. Sie findet eine Fortsetzung in den Schulen und Bildungseinrichtungen des Landes – und auch weit darüber hinaus. NRW hat in der Kulturministerkonferenz den Beschluss „Erinnern für die Zukunft“ angeregt, in dem eine Bildungsarbeit, so, wie wir sie beispielhaft auch hier auf der Wewelsburg finden, in die Empfehlungen für alle Bundesländer eingeflossen ist. Und seit dem Jahr 2000 wird durch das große Engagement des Vereins „Gedenktag 2. April“ hier regelmäßig an das KZ Niederhagen die Befreiung des Restkommandos im April 1945 gedacht. Der Wert dieser ehrenamtlichen Arbeit kann gar nicht genug gewürdigt werden. Auch, weil sich darin ein Umdenken vor Ort dokumentiert – weg vom Versuch, die Vergangenheit zu vergessen und zu verdrängen – hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit. Denn es ist doch klar: Das, was wir verdrängen wollen, ist nicht einfach weg. Es holt uns hinterrücks wieder ein! Auch deswegen gibt es keinen anderen Weg als den eines bewussten und kritischen und mit den Opfern emphatischen Umgangs mit unserer Vergangenheit. Weil der Verein „Gedenktag 2. April“ diesen Weg mutig geht, darum sage ich allen Beteiligten und Engagierten meinen herzlichen Dank! Ihre und Eure ehrenamtliche Arbeit ist ein großes Vorbild in unserer Demokratie. Und ich bitte Sie und Euch von Herzen, nicht nachzulassen! Unsere Erinnerungskultur missfällt Rechtspopulisten zutiefst Gerade heute, in einer Zeit, in der Rechtspopulisten das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein „Denkmal der Schande“ diffamieren, brauchen wir in dieses Engagement. Die schlimme Höcke-Rede in Dresden war doch kein Zufall oder rhetorischer „Ausrutscher“. Sie war Teil eines Versuchs, unsere demokratische Erinnerungskultur im Kern zu treffen. Eine Kultur, die den Rechtspopulisten nicht gefällt, weil die nämlich wieder von deutscher Stärke und deutschem Größenwahn künden wollen. Weil sie zurück wollen zu einer Erinnerungskultur, wie wir sie schon einmal hatten – in der Kaiserzeit und dann in der NS-Zeit – mit Kriegergedenktagen und einer wüsten Stimmungsmache gegen europäische Nachbarn, die als „Erbfeinde“ diffamiert wurden. Genau dorthin wollen die Rechtspopulisten zurück: Sie wollen das große Friedensprojekt Europa zerschlagen, sie wollen Grenzen schließen und Mauern bauen, sie wollen wieder Nationalistische Ressentiments schüren, Hass und Feindschaft zwischen den Völkern Europas. Denn sie haben nichts gelernt aus zwei Weltkriegen! Sie haben nichts gelernt aus der NS-Terrorherrschaft! Deshalb sind wir gefordert: Verteidigen und entwickeln wir unsere demokratische Erinnerungskultur mit umso größerem Engagement. Wir wehren den Anfängen. Wir wehren uns gegen die, die wieder von „völkischer“ Kultur schwadronieren, die auf Flüchtlinge schießen wollen, und Rassismus propagieren, Nein, diese Anfänge müssen wir aufdecken erkennen, benennen und bekämpfen. Wir müssen zeigen, wo das Hass- und Feinddenken hinführt. Darum gedenken wir auch heute am 2. April 2017 an die Opfer, die hier im KZ Niederhagen gelitten haben und ermordet wurden. Weil wir uns als Deutsche, in deren Namen dieses Verbrechen begangen wurde, dazu verpflichtet fühlen, Verantwortung zu übernehmen dafür, dass die Opfer nicht vergessen werden. Weil die Auseinandersetzung mit der Hitler’schen Zustimmungsdiktatur und den Verbrechen der Nationalsozialisten notwendig ist, um sich zu versichern, wo wir heute stehen. Auch deswegen erinnern wir hier und an vielen anderen Orten an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Und deswegen bekräftigen wir auch an dieser Stelle: Nie wieder dürfen Menschen so gequält werden, wie das in den KZs geschehen ist! Wir treten den Menschenfeinden entgegen. Wir entlarven die faschistischen Wölfe in ihren Schafspelzen, die sich in die Mitte der Gesellschaft einschleichen und versuchen antidemokratisches Gift einträufeln zu lassen. Nie wieder Faschismus und Krieg! Wir wollen versöhnen und für den Frieden arbeiten. Hier in Wewelsburg, in Paderborn, in NRW,, in Deutschland und Europa und auch in der Welt.
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